Politik & Gesellschaft

Techniker statt Traumtänzer

„Verachtet mir die Meister nicht, und ehrt mir ihre Kunst“ heißt es in Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“. Ich füge ausdrücklich hinzu: Verachtet mir die Techniker nicht…“. Diese manchem vielleicht altväterlich anmutende Mahnung aus den „Meistersingern“ gilt nach wie vor, auch und erst recht im Zeitalter der Digitalisierung.

Denn Deutschland leidet unter akutem Akademisierungswahn. „Hauptschüler haben keine Chance auf eine Lehrstelle“ titelte unlängst der FOCUS. Und der DGB analysierte zutreffend, Realschulabschluss und insbesondere Abitur seien zur „Leitwährung auf dem Ausbildungsmarkt“ geworden. Akademische versus berufliche (Aus)Bildung, der gesellschaftliche Diskurs darüber trägt zunehmend irrationale Züge. Die Studienanfängerquote – aktuell 58 Prozent – ist vom statistischen Wert zum Fetisch mutiert. Nicht jeder, der erfolgreich im Berufsleben seine Frau oder seinen Mann stehen will, muss eine Hochschule von innen gesehen haben.

Damit einher geht eine wundersame, scheinbar unaufhaltsame Inflationierung der Spitzen-Schulnoten, bundesweit und quer durch alle Schultypen. Der Anteil der glatten Einserabiturienten ist binnen weniger Jahre um vierzig Prozent gestiegen. Der Unkundige könnte vermuten, wir hätten es hier mit einer Art Intelligenz-Explosion zu tun.

Der wahre Grund ist, fürchte ich, viel banaler: Niveau-Nivellierung. Seit etwa 30 Jahren wurden und werden aus vorrangig ideologischen Gründen die Leistungsanforderungen in Schule (und Hochschule) immer weiter gesenkt. Ausbilder in mittelständischen Betrieben können ein Lied davon singen. Das Ganze kulminiert aktuell in der absurden Forderung, Hochschulen sollten angesichts von einem Drittel Studienabbrecher künftig nach der Zahl der Abschlüsse finanziert werden.

Gottlob mehren sich die kritischen Stimmen. So warnte beispielsweise der Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, dass bei uns zu viele junge Menschen studieren und keine Berufsausbildung absolvieren. Der vor kurzem vorgestellte 6. Bildungsbericht dokumentiert eine beängstigende Schieflage zu Lasten der beruflichen Bildung.

Dieser traditionelle Standpfeiler unserer Wirtschaft droht zum Stiefkind der Bildungspolitik zu werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir brauchen mehr Handwerker und weniger Mundwerker! Wir brauchen alltagstaugliche Techniker, keine akademischen Traumtänzer!

Gerade bei der Digitalisierung sind Meister und Techniker im Mittelstand gefragter denn je. In Deutschland besteht in puncto Digitalisierung erheblicher Nachholbedarf. Wir haben bildlich gesprochen die erste Halbzeit verschlafen. Was kein Wunder ist, wenn je nach Umfrage bis zu 50 Prozent der mittelständischen Unternehmer vom Thema digitale Zukunft nichts wissen wollen.

Zugleich müssen wir uns fragen:

  • Was nutzen die besten staatlichen Förderprogramme, wenn den Betrieben die Fachkräfte ausgehen bzw. bereits fehlen?
  • Wie wollen wir künftig im internationalen Wettbewerb bestehen, wenn selbst in der High-Tech- und Vorzeigebranche Maschinenbau erst 60 Prozent der Unternehmen sich mit vernetzter Produktion beschäftigen?
  • Wann endlich verschwinden die weißen Flecken von der digitalen Landkarte Deutschlands, ist schnelles Internet selbstverständlich, sitzen doch zwei Drittel der Mittelständler im ländlichen Raum?

In meiner Zeit als Kultusminister im Freistaat Sachsen lag mir die berufliche Bildung besonders am Herzen, wissend um den Wert unserer hervorragend qualifizierten Meister und Techniker. Deutschland wird um das Modell der Dualen Ausbildung in aller Welt beneidet. Das gilt in gleichem Maße für das Gütesiegel Staatlich geprüfter Techniker. Unsere Meister und Techniker erweisen sich als Joker im internationalen Standortpoker.

Aber bekanntlich gilt der Prophet im eigenen Lande nichts. Hier sind wir deshalb gemeinsam gefordert. Es gilt, dem Staatlich geprüften Techniker die Anerkennung in Staat und Gesellschaf zu verschaffen, die ihm gebührt! Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft, kurz: BVMW, wird sich im Rahmen seiner Mittelstandsallianz auf allen politischen Ebenen dafür stark machen.

Dazu gehört eine stärkere Förderung der Aufstiegsfortbildungen zum Staatlich geprüften Techniker, Betriebswirt und Gestalter. Das schließt aus meiner Sicht eine Ergänzung der Berufsbezeichnung zur Verdeutlichung der Qualität der Absolventen ein. Vorstellbar wäre der „Bachelor professional“, um so auch die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung zu betonen.

Um Missverständnissen vorzubeugen, das ist keine bloße Umetikettierung. Ich bin fest davon überzeugt, der Staatlich geprüfte Techniker ist dank seiner Vielseitigkeit jedem Schmalspur-Bachelor klar überlegen. Er bringt nämlich zusätzlich zum vertieften Fachwissen Management-Erfahrung mit: Mitarbeiterführung, Nachwuchsausbildung, Kundenorientierung, Kostenrechnung und viele andere Kernkompetenzen mehr.

Es geht, kurz gesagt, um Fertigkeiten und Kenntnisse aus der Praxis für die Praxis. Genau diese Praxisnähe macht den Staatlich geprüften Techniker zur „Allzweckwaffe“ im mittelständischen Unternehmen. Allein schon aus diesem Grund sieht der BVMW im BVT einen natürlich Partner und Verbündete. Diese Kooperation zum gegenseitigen Nutzen auszubauen, muss unser gemeinsames Ziel sein.

Prof. Dr. Roland Wöller (Staatsminister a.D) ist ehemaliger Bundesgeschäftsführer des Bundesverbandes mittelständischer Wirtschaft (BVMW)