Sozialpolitik

INTERVIEW MIT JÖRG IDE, Leiter des Stabsbereiches Verwaltungsrat/Vorstand bei der Techniker Krankenkasse (TK)

Frage: Herr Ide, als langjähriger Leiter des Stabsbereiches Verwaltungsrat/Vorstand bei der Techniker Krankenkasse (TK) haben Sie sehr engen Kontakt zu den Frauen und Männern, die ehrenamtlich in der Selbstverwaltung der TK tätig sind. Darüber hinaus gelten Sie mit als größter Verfechter der Sozialwahl. 2017 ist es wieder soweit. Beschreiben Sie doch bitte kurz diese Wahl.

Bei der Sozialwahl werden die Vertreter der Versicherten und Arbeitgeber, der bei den jeweiligen Trägern wie Krankenkassen, der Rentenversicherung oder den Berufsgenossenschaften gewählt. Stimmberechtigt sind die Mitglieder dieser Einrichtungen. Es handelt sich dabei um eine Listenwahl, d. h. es werden nicht einzelne Kandidaten gewählt, sondern die zur Wahl zugelassenen Listen sind auf dem Stimmzettel verzeichnet und können entsprechend angekreuzt werden.

Frage: Gibt es die Wahl bei allen Sozialversicherungsträgern?

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten war es allerdings so, dass nur eine kleine Anzahl von Sozialversicherungsträgern tatsächlich eine Urwahl durchgeführt haben. Immer dabei waren die Ersatzkassen, also auch die Techniker Krankenkasse und die Deutsche Rentenversicherung Bund. Bei vielen Trägern gibt es diese Form der Mitbestimmung ihrer Mitglieder nicht - dort werden sogenannte Wahlen ohne Wahlhandlung durchgeführt, d.h. die vertretenen Organisationen einigen sich im Vorfeld auf die Verteilung der Mandate.

Frage: Wie wird bei der Sozialwahl abgestimmt?

Bei der Sozialwahl handelt es sich um eine reine Briefwahl, das bedeutet, alle Wahlberechtigten bekommen die Wahlunterlagen in dem Zeitraum April - Mai 2017 nach Hause geschickt. Idealerweise sollt man sofort seine Wahl treffen und dann die Wahlunterlagen zurücksenden.

Frage: Und wie steht es um die Wahlbeteiligung?

Man muss ehrlicherweise sagen, dass eine höhere Wahlbeteiligung wünschenswert wäre. Wir haben eine durchschnittliche Wahlbeteiligung von ca. knapp über 30 Prozent. Das ist trotzdem eine hohe Zahl, weil die Sozialwahl nicht so bekannt ist wie zum Beispiel andere politische Wahlen - obwohl sie die drittgrößte Wahl in Deutschland ist.

Frage: Was sind die Aufgaben der Selbstverwaltung?

Die Selbstverwaltung bei der gesetzlichen Krankenversicherung hat ganz wesentliche Aufgaben. Zum Beispiel hat sie das Budgetrecht, d.h. sie legt den Haushaltsplan fest. Sie entscheidet über - die Höhe der Beitragssätze - zusätzliche Leistungen für die Mitglieder und Versicherten - sie wählt den Vorstand - sie ist Kontrollorgan des Vorstandes Das sind ganz wesentliche Dinge, die die Selbstverwaltung eigenständig verantwortet.

Frage: Warum ist denn die Sozialwahl aus Ihrer Sicht nicht so bekannt?

Sicher spielt eine große Rolle, dass eben nicht alle Sozialversicherungsträger die Sozialwahl in Form einer demokratischen Urwahl durchführen. Insofern gibt es leider eine Vielzahl von Mitgliedern der gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung, die noch nie mit diesem Thema konfrontiert wurden. Zum anderen bedarf es sicherlich auch deutlich mehr Unterstützung durch die Politik und die Medien.

Frage: Sind die Medien zu passiv?

Es ist schon mehr als unverständlich, wenn beispielsweise der öffentlich rechtliche Sender ZDF sich verweigert gegen Bezahlung Wahlwerbung für die drittgrößte Wahl Deutschlands zu senden. Gleichwohl werden wir auch für die Sozialwahl 2017 alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um die Bedeutung dieser Wahl den potenziellen Wählerinnen und Wählern deutlich zu machen.

Frage: Was muss ein TK-Mitglied tun, wenn es selbst als Versichertenvertreter bei der Sozialwahl kandidieren möchte?

Ein interessiertes TK-Mitglied kann sich einer bei der Sozialwahl 2017 antretenden Organisationen anschließen. Dort muss geklärt werden, ob eine Kandidatur möglich ist. Die Techniker Krankenkasse selbst hat mit der Kandidatenauswahl nichts zu tun, das ist ureigenste Angelegenheit der Organisationen.

Frage: Gibt es noch weitere Möglichkeiten?

Ja. Als einzelnes Mitglied kann man in Form einer sogenannten "freien Liste" antreten. Der Gesetzgeber hat dafür aber Hürden vorgesehen, beispielsweise müssen bei der Größe der Techniker Krankenkasse 2000 Unterstützerunterschriften von TK-Mitgliedern gesammelt werden.

Frage: Ist die Arbeit der Selbstverwaltung ehrenamtlich oder gibt es Geld?

Diese Frage wird relativ häufig gestellt und in der Folge oft falsch eingeschätzt. Tatsächlich erhalten die ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Selbstverwaltung lediglich eine geringe Aufwandspauschale für die Teilnahme an den Sitzungen. Gegenwärtig sind das 70,00 Euro pro Sitzungstag. Andere Vergütungen gibt es nicht.

Frage: Gibt es Ansätze die Sozialwahl zur reformieren?

Ja, es gibt zahlreiche Ansätze die Sozialwahl zu reformieren. Obwohl erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dieses Thema Bestandteil eines Koalitionsvertrages ist, konnten sich dennoch die Koalitionsparteien nicht auf einzelne Reformansätze einigen. Stichworte der Reformansätze waren beispielsweise - Absenkung der Zugangshürden zur Wahl - Einführung einer verpflichteten Urwahl - Einführung einer Onlinewahl - Einführung einer verpflichtenden Frauenquote Ob in dieser Legislaturperiode noch mit einer politischen Entscheidung zu rechnen ist, ist derzeit nicht abschätzbar. Allerdings würde sie für die Sozialwahl 2017 keine Folge mehr haben.

Frage: Waren datenschutzrechtliche Bedenken das "Aus" für die Onlinewahl?

Nicht nur. Ich beschäftige mich seit Mitte der neunziger Jahre mit diesem Thema. Leider konnten aber seit dem nicht nur datenschutzrechtliche Fragen, sondern auch andere rechtliche Rahmenbedingungen nicht abschließend geklärt werden. Eine Arbeitsgruppe bestehend aus den Vertretern der Ersatzkassen und der Deutschen Rentenversicherung Bund hat nun erstmalig ein Konzept für die Durchführung einer Onlinewahl vorgelegt - entscheidend für das Gelingen ist aber, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung einer Onlinewahl vom Gesetzgeber endlich zu schaffen sind.

Frage: Die Kritiker werfen der Sozialwahl Intransparenz vor!

Dieser Vorwurf geht tatsächlich ins Leere! So werden beispielsweise die zur Wahl stehenden Listen in den Publikationen zum Beispiel der Techniker Krankenkasse mehrfach dargestellt. Und hier nutzen wir Printmedien, Social Media-Kanäle und Bewegtbild. Darüber hinaus klären wir auch in einer gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit einiger Ersatzkassen und der Deutschen Rentenversicherung Bund über Zweck und Inhalt dieser Wahl umfassend auf. Also: alle, die sich informieren wollen, haben vielfältige Möglichkeiten.

Frage: Welche Folgen hätte aus Ihrer Sicht die Abschaffung der Sozialwahl?

Eine Abschaffung der Sozialwahl würde bedeuten, dass die unmittelbare Partizipation der Mitglieder der einzelnen Versicherungsträger ersatzlos entfallen würde. Damit übrigens auch ein wesentliches Stück Demokratie, das die Bundesrepublik Deutschland seit den fünfziger Jahren wesentlich auszeichnet. Würde es keine demokratisch legitimierte Selbstverwaltung mehr geben, so müssten diese Aufgaben wieder direkt vom Staat übernommen werden. Das kann nicht im Sinne der Betroffenen sein.

Frage: Herr Ide, zum Abschluss haben Sie drei Wünsche frei. Was wünschen Sie sich für die Sozialwahl?

Erstens, dass wir von den gewählten Volksvertretern, die Unterstützung bekommen, die diese Wahl verdient. Zweitens wünsche ich mir, dass die wahlberechtigten Mitglieder sich deutlich mehr an der Abstimmung beteiligen würden, also eine höhere Wahlbeteiligung realisiert wird. Der 3. Wunsch wäre, dass mehr Träger sich dazu entschließen könnten, diese Wahl in Form einer Urwahl durchzuführen. Dies würde sicherlich die Akzeptanz dieser Wahl erhöhen.