Politik & Gesellschaft

Karrierepfade in die Zukunft

Bereits seit mehreren Jahren zeichnen sich in Deutschland zwei Trends ab, deren Wider-sprüchlichkeit auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar scheint. Einerseits beobachten wir seit Mitte der 90er Jahre eine Verdopplung der Studienanfängerzahlen, während die demo-grafische Entwicklung zu einem Rückgang der Geburten und damit der Schüler- und Absol-ventenzahlen führte. Andererseits klagen unsere Wirtschaftsunternehmen und insbesondere der Mittelstand über einen nie gekannten Mangel an beruflich qualifizierten Fachkräften, wäh-rend immer mehr junge Menschen an die Hochschulen strömen. Mit dem steigenden Bedarf an Nachfolgern für die Übernahme kleiner und mittelständischer Betriebe (KMU) trägt sich dieser Effekt mittlerweile bis in das Herz der deutschen Wirtschaft.

Dass hiermit eine gesellschaftliche Entwicklung – zugegebenermaßen noch befeuert von der Politik – an den Bedürfnissen einer hoch technologisierten und produktionsstarken Wirtschaft, getragen von einem innovativen und widerstandsfähigen Mittelstand, vorbeigegangen ist, lässt mich als Wirtschaftspolitikerin nicht kalt. Deswegen haben wir es uns als Fraktion, gemeinsam mit den Bundesministerien für Bildung und Forschung (BMBF) sowie für Wirtschaft und Energie (BMWi), schon seit Jahren zur Aufgabe gemacht, die aussichtsreichen Karrierewege in der beruflichen Bildung wieder stärker ins Bewusstsein junger Menschen sowie auch der Eltern und Lehrer zu rücken. Das Ziel ist klar definiert: Wir brauchen eine höhere Wertschätzung der dualen Ausbildung damit eine Gleichwertigkeit zwischen den höchsten Qualifikationsstufen bei Technikern, Fach- und Betriebswirten sowie Meistern - neben einem Studium - in unserer Gesellschaft verankert wird!

An der Schnittstelle von Wirtschafts- und Bildungspolitik sind daher zwei große Projekte zentral: die Modernisierung des Berufsbildungsgesetzes und der Handwerksordnung mit einer verfassungs- und europarechtskonformen Wiedereinführung der Meisterpflicht!

Zusammen – und da bin ich mir sicher – können diese Gesetze einen entscheidenden Beitrag für das Fortbestehen einer qualitativ hochwertigen und an den Bedürfnissen unseres Wirtschaftsstandortes ausgerichteten beruflichen Bildung und Aufstiegsfortbildung sein. Dabei muss unter allen Umständen darauf Rücksicht genommen werden, dass funktionierende wirtschaftliche Strukturen und Betriebe nicht Opfer gut gemeinter Regulierungsvorschläge werden. Deshalb werden wir darauf achten, dass wir in Hinblick z.B. auf die vereinbarte Mindestausbildungsvergütung, Prüfungsordnungen, weitere Dokumentationspflichten oder andere Neuregelungen, nicht übers Ziel hinausschießen. Denn zusätzliche Belastungen in bestimmten Branchen und Regionen oder ein Infragestellen unserer jahrzehntelang bewährten Tarifautonomie wären schlicht kontraproduktiv und könnten sich negativ auf die Ausbildungsbereitschaft von Betrieben auswirken.

Auch bei dem im Dezember 2018 eingeleiteten Prüfungsprozess zur Wiedereinführung des bewährten Meistertitels stehen, neben der anerkannten guten Ausbildungsleistung, qualitative als auch verbraucherschutzrelevante Aspekte im Vordergrund. Insgesamt gilt es das hervorragende Image, das mit dem Titel des Meisters berechtigterweise in unserer Gesellschaft und auch im Ausland verknüpft ist, zu erhalten bzw. zu schützen. Mit der Liberalisierung im Handwerk 2003 unter rot-grüner Regierung wurden 53 Berufe aus der Meisterpflicht entlassen. Dies führte u.a. zu einem starken Rückgang der Ausbildungstätigkeit, zur Gründung überdurchschnittlich vieler Ein-Mann-Betriebe, einer großen Zahl an Insolvenzen und Einbußen bei der Verbraucherqualität. Nachdem die CDU daher schon 2016 auf dem Bundesparteitag eine Initiative zur Wiedereinführung des Meister/ der Meisterin beschlossen hat, wurde diese folgerichtig von uns auch im Koalitionsvertrag verankert. Seit letztem Jahr haben wir in einer Arbeitsgruppe der Koalition Experten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Handwerk und Gewerkschaften angehört. Zudem können wir uns in der politischen Diskussion auf zwei aktuelle vom Zentralverband des Deutschen Handwerks in Auftrag gegebene Gutachten stützen, die insbesondere die Vorrausetzungen hinsichtlich europarechtlicher sowie weiterer juristischer und praxisbezogener Fragestellungen herausarbeiten. Im Ergebnis wurden wir in unserer Haltung bestärkt: Die deutsche Wirtschaft im Allgemeinen und das Handwerk im Besonderen brauchen einen starken Meister, eine starke Meisterin.

Mit der Wiedereinführung verbinden wir vier übergeordnete Ziele: die Verbesserung der Leistungsfähigkeit, einschließlich nachhaltiger und wettbewerbsfähiger betrieblicher Strukturen im Handwerk, die Gewährleistung der Ausbildungsqualität, Ausbildungsleistung und Ausbildungsfähigkeit der Betriebe im Interesse der Fachkräftegewinnung und -sicherung, die Sicherung der Innovationsfähigkeit und der Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Qualitätssicherung und Verbraucherschutz.

Aktuell findet unter Federführung des BMWi ein schriftliches und mündliches Beteiligungsverfahren für die betroffenen Innungen und Gewerke statt. Darin werden sie aufgefordert, die fachspezifischen Aspekte und Begründungen, die für die Wiedereinführung der Meisterpflicht in ihrem Gewerk sprechen, herauszuarbeiten. Diese Vorgehensweise ist entscheidend, weil alle Argumente einer verfassungs- und europarechtlichen Prüfung standhalten müssen. Es ist daher davon auszugehen, dass neben dem Bereich der Ausbildungsqualität, die Bewertung der Gefahrgeneigtheit und des Schutzes von Leben und Gesundheit eine entscheidende Rolle spielen werden. Darüber hinaus müssen auch alle weiteren relevanten rechtlichen und ökonomischen Aspekte der Meisterpflicht in der Konsultation Berücksichtigung finden.

Auf Basis dieser Anhörungsergebnisse wird in der Sommerpause ein Gesetzentwurf erarbeitet, der im Herbst 2019 im Deutschen Bundestag beraten werden soll und Anfang 2020 in Kraft treten kann. Aus meiner Sicht, neben dem Berufsbildungsmodernisierungsgesetz, ein wichtiger Baustein zur Aufwertung der beruflichen Bildung, mit dem klaren Bekenntnis zu Karrierezielen im beruflichen Sektor und   dem klaren Bekenntnis zur wirtschaftlichen Exzellenz.

Abschließend müssen wir, bei allen einzelnen Maßnahmen darauf achten, dass uns eine Weiterentwicklung und Stärkung des dualen Systems in Gänze gelingt. Daher müssen Reformen immer unter der Zielsetzung erfolgen, dass sie zur nachhaltigen Stärkung der fachlichen Befähigung unserer Nachwuchskräfte beitragen und im Bereich der beruflichen Erstausbildung und in der Aufstiegsfortbildung selbst klare Qualitätsanforderungen eingehalten werden. Zurecht hat daher der BVT darauf hingewiesen, dass die inhaltlichen Zugangsvoraussetzungen zu Abschlüssen von Technikern, Fach- und Betriebswirten, also eine abgeschlossene Berufsausbildung, eine zweijährige Fortbildung mit hohem Stundenumfang und eine mindestens einjährige Praxiserfahrung nicht durch neue Abschlussbezeichnungen im Rahmen der Modernisierung des Berufsbildungsgesetzes unterlaufen werden dürfen.

Wo Bachelor- oder Master-Professional draufsteht, muss auch eine vergleichbare Qualifikation drinstecken - insbesondere mit einer zu leistenden Mindeststundenzahl in der Fortbildung. Daher setze ich mich dafür ein, dass alle neuen Abschlussbezeichnungen – wie immer man zu ihnen stehen mag – sowohl von den Lehrinhalten, der nötigen Stundenzahl als auch der erreichten Qualifikation auf Grundlage bewährter DQR/EQR-Niveaus miteinander und mit bestehenden Abschlüssen vergleichbar sein müssen. Eine Aufweichung von Qualitätsstandards darf es nicht geben, denn das wäre ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die in der Vergangenheit viel Zeit, Geld und Engagement in ihre Aufstiegsqualifizierung investiert haben.

Wenn wir der nachfolgenden Generation von Schülerinnen und Schülern deutlich machen wollen, was ein (in Schule und Betrieb) dual erlernter Beruf für Vorzüge hat, müssen wir anfangen, vom Ende her zu denken und Ausbildung immer in einem Atemzug mit Fortbildung, Aufstieg und Karriere verknüpfen. Diesen Geist müssen auch die kommenden Gesetze beinhalten. Sie müssen Motivation zur eigenen beruflichen Weiterentwicklung wecken und den Boden für eigenverantwortliches wirtschaftliches Handeln bereiten. Damit wäre dann auch das notwendige Fundament für eine ausreichende Anzahl an qualifizierten Fachkräften, Meisterschülern, Fortbildungsabsolventen und Betriebsnachfolgern sowie hochwertige Dienstleistungen und Produkte „Made in Germany“ gelegt.    

Astrid Grotelüschen, MdB Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie, Berichterstatterin für Mittelstand, Handwerk, Bildung und Gründungsgeschehen Stellv. Vorsitzende des Unterausschusses für Regionale Wirtschaftspolitik und ERP-Wirtschaftspläne Stellv. Mitglied des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung