Politik & Gesellschaft

Klarer Kurs - von Anfang an das Ziel vor Augen

Bevor Sie in die Lektüre dieses Artikels einsteigen, möchte ich Sie bitten, sich umzusehen und sich beim nächsten Gegenstand die Frage zu stellen, wie er entwickelt, hergestellt, installiert oder implementiert wurde. Welche Geschäftsprozesse stehen dahinter? Welche Qualifikationen sind dafür nötig?

Wenn Sie diese Fragen beantworten können, gratuliere ich Ihnen. Sie gehören zu denjenigen, die die praktischen Hintergründe unserer Lebenswelt erkennen, verstehen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Leider geht der Trend dahin, dass es künftig immer weniger Menschen mit praktischem Anwendungswissen - gespeist aus einer profunden beruflichen Bildung und einer der rund 200 Aufstiegsqualifikationen - geben wird. Was hingegen nachweislich zunimmt sind akademische Ausbildungsgänge, akademische Abschlüsse, aber auch akademische Abbrecher sowie die öffentliche Debatte über alle drei.

Weitestgehend ignoriert wird leider der enorme Beitrag, den neben der immer schon starken aber kriselnden beruflichen Erstausbildung - in betrieblicher, teil- oder vollzeitschulischer Form - die vielfältigen höheren Qualifikationsprofile zur Entwicklung und Stabilität unserer deutschen Wirtschaft beitragen. Meister, Techniker, Fachwirte und Betriebswirte sind diejenigen, die als hochqualifizierte berufliche Führungskräfte gemeinsam mit natur- und ingenieurwissenschaftlichen Hochschulabsolventen den Transfer neuer Technologien, Techniken und Erkenntnisse in Produkte, Dienstleistungen und Strukturen vorantreiben.

Es ist unser erklärtes politisches Ziel, das wir im Bundesfachausschuss "Bildung, Forschung und Innovation" der CDU Deutschlands festgelegt haben, diesen Pfad der "Höheren Berufsbildung" als ganzheitliches berufliches Konzept zu implementieren. Schulabsolventen sollen unabhängig von ihrem Abschluss die Möglichkeit haben, klar zu erkennen, welche Potenziale sich ihnen mit einer solchen Qualifikation erschließen und wie diese zu erreichen sind.

Was uns dabei bewegt

Die Bedarfe unseres Wirtschaftsstandortes, die Notwendigkeit, aber auch der Wille zur lebenslangen Weiterqualifikation, verlangen transparente, attraktive und praxistaugliche Bildungswege im beruflichen Bereich. Mit dem Konzept der "Höheren Berufsbildung" versprechen wir jungen Berufseinsteigern und denen, die es werden wollen, exzellente Chancen für eine persönliche Karriere.

Als Garanten einer leistungsfähigen gewerblichen Wirtschaft sind beruflich Hochqualifizierte aus Deutschlands Unternehmen, vor allem aus dem Bereich der KMU, nicht wegzudenken. Im Vergleich zu akademisch Gebildeten bieten sich ihnen gleiche, wenn nicht gar höhere Einkommensmöglichkeiten. Diesen Umstand gilt es, in der Breite bekannt zu machen.

Die Mischung aus beruflicher Sicherheit, einem guten Einkommen und der Möglichkeit, im Beruf die eigene Persönlichkeit zu entfalten und sich fortwährend weiter zu qualifizieren hat für immer mehr junge Menschen hohe Bedeutung bei der Auswahl ihres Karriereweges. Dies bringen wir mit der "Höheren Berufsbildung" voran.

Noch ist dieses Konzept jedoch zu wenig bekannt und für viele schwer greifbar. Ein Kernanliegen ist daher, höhere Qualifizierungs- und Karrierewege transparenter zu machen. Unser Konzept zielt darauf ab, berufliche Fortbildungen im Anschluss an eine Erstausbildung weiterzuentwickeln. Jungen Fachkräften soll von Beginn an eine Basis geliefert werden, um Herausforderungen wie der Dynamik technologischer Entwicklungen (Digitalisierung, Wirtschaft 4.0) durch den formalen Abschluss weiterer Qualifikationen kontinuierlich begegnen zu können.

Als Dachmarke für berufliche Aufstiegsfortbildungen (z. B. Meister, Techniker, Fachwirt, Betriebswirt) tritt die "Höhere Berufsbildung" als Teil der tertiären Bildung ohne die Voraussetzung eines Abiturs als gleichwertigen Bestandteil neben die bereits bestehende "Akademischen Bildung". Ihre Kernelemente sind Arbeitsmarktorientierung, die Ausrichtung auf Führungsfunktionen und Unternehmensnachfolge sowie bereichs- und fachübergreifende Handlungskompetenz.

Mit der "Höheren Berufsbildung" wollen wir erreichen, dass die berufliche Bildung für Eltern, Lehrer und Schüler wieder als attraktive Alternative zum Studium erkennbar wird. Denn die Produktionskraft und die Innovationsfähigkeit der Unternehmen hängen in der Wissensgesellschaft maßgeblich von Fachkräften ab. Unser Anspruch an aktuelle und künftige Bildungspolitik ist daher, dass diese den weiter hohen Bedarf an beruflich qualifizierten Fach- und Führungskräften berücksichtigt. Insbesondere die Schaffung stimmiger Berufslaufbahn-konzepte, die im sekundären Bildungsbereich beginnen und im tertiären Bereich die DQR-Stufen 5 bis 7 umfassen, wird dabei ein Leitgedanke sein. Darüber hinaus kommt es auch darauf an, neue Angebote der "Höheren Berufsbildung" für erfahrene Fach- und Führungskräfte zu entwickeln.

Prognostisch kommt zu Engpässen von bis zu 2,7 Millionen qualifizierten Fachkräften bis zum Jahr 2017, während die Lücke bei akademisch Qualifizierten 'nur' etwa 1,2 Millionen betragen soll. Daher steht zu befürchten, dass eine Vielzahl von Hochschulabsolventen in Arbeitsstellen rückt, für die sie formal nicht adäquat ausgebildet sind. Bereits 2014 waren 28 Prozent der Universitätsabsolventen "eindeutig unterqualifiziert beschäftigt" (BMBF-Berufsbildungsforschung Bd.17, 2014). Mit transparenten Ausbildungswegen bis in Spitzenqualifikationen der beruflichen Bildung hinein kann die "Höhere Berufsbildung" hier an der Wurzel ansetzen, statt später Symptome zu bekämpfen.

Neben der im Deutschen Qualifikationsrahmen verbrieften Gleichwertigkeit gehört auch die Durchlässigkeit zwischen den Säulen der tertiären Stufe zur Grundlage eines zukunftsweisenden Bildungssystems. Die "Höhere Berufsbildung" soll daher auch Bachelor- und Masterabsolventen mit entsprechender Berufserfahrung offenstehen. Durch solche sinnvollen Verknüpfungen stellen wir uns gegen die Tendenz, theoretisch-akademisches Wissen für "wertvoller" zu halten als anwendbares Wissen. Zudem wollen wir eine intensive öffentliche Debatte über unseren verengten, auf theoretisches Wissen reduzierten Bildungsbegriff anstoßen.

Mehrwert für uns alle

"Höhere Berufsbildung" ist kein Spezialprogramm für wenige, sondern Chance für viele:

  • Unabhängig vom Alter erhalten aufstiegsorientierte Menschen attraktive Karrierechancen und Qualifikationsmöglichkeiten, die individuellen Lebensumständen (z.B. berufsbegleitend) Rechnung tragen. Für Hochschulabsolventen bietet sich die Gelegenheit, arbeitsmarktrelevantes Handlungswissen zu erlangen.
  • Unternehmen profitieren vom direkten Arbeitsmarktbezug der "Höheren Berufsbil-dung", sowie vom Erwerb weiterführender beruflicher Kompetenzen durch ihre Fach- und Führungskräfte.
  • Die Attraktivität des beruflichen Bildungssystems steigt insgesamt und trägt damit zur Sicherung des Fachkräftebedarfs bei.
  • Staat und Gesellschaft profitieren dank höherer Einkommen und steigender Steuereinnahmen mit steigenden Bildungsabschlüssen indirekt mit.

Klarer Kurs für Berufsaufsteiger

Zur Umsetzung der "Höheren Berufsbildung" bedarf es konkreter politischer Maßnahmen, einerseits auf der Sekundarebene, also bei Schulen und Ausbildungsbetrieben, andererseits auf der Tertiärstufe, in dem Fall bei der Ausgestaltung der neuen Dachmarke.

Im ersten Feld sind es vor allem Berufsschulen, die wir mit einem "Nationalen Pakt für Berufsschulen" unter gemeinsamer Kraftanstrengung von Bund, Ländern und den Partnern der Allianz für Aus- und Weiterbildung zukunftsfähig machen wollen. Neben ihrer sachlichen Ausstattung geht es dabei vor allem um die Qualifizierung der Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrer: fachliche und fremdsprachliche Qualifikationen gewinnen hier an Bedeutung.

Die erfolgreich begonnene Öffnung der Gymnasien für Berufsorientierung muss konsequent fortgesetzt und flächendeckend ausgebaut werden. Hiermit werden frühzeitige Bildungsentscheidungen gefördert und spätere Studienabbrüche sowie deren individuelle und gesellschaftliche Folgewirkungen vermieden.

Um den Bedürfnissen der jungen Menschen nach theoretischer und praktischer Bildung gerecht zu werden, soll das Angebot eines Berufs-Abiturs entwickelt werden. Mit der Doppelqualifikation, bestehend aus einem Abschluss der dualen beruflichen (Erst-)Ausbildung (zum Beispiel Geselle, Fachkraft) und der allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung, greifen wir Modelle, die beispielsweise in der Schweiz von 80 Prozent der Jugendlichen wahrgenommen werden, auf. Im technischen Bereich können wir uns dabei an bereits bestehenden Modellen wie DuBAS ("Duale Berufsausbildung mit Abitur Sachsen") orientieren. Schülerinnen und Schüler können im Anschluss zwischen "Höherer Berufsbildung" oder Studium wählen.

Als Knotenpunkt internationaler Entwicklungs- und Exportaktivitäten muss Deutschland auch seine berufliche Bildung internationalisieren. Bestehende Angebote zur Förderung von Auslandsaufenthalten, wie "Erasmus+" sollen von Berufsschulen und Betrieben noch stärker und vor allem einfacher genutzt werden können, um Fremdsprachenkenntnisse, interkulturelle und verfeinerte soziale Kompetenzen ihrer Auszubildenden zu fördern. Im zweiten Feld, der Tertiärstufe, geht es darum, den für unser Land so bedeutsamen Inno-vations- und Technologietransfer durch eine praxisnah ausgerichtete, weiterführende berufliche Fortbildung sicherzustellen. Gleichzeitig sollen Absolventen einer beruflichen Ausbildung Qualifikationen und Kompetenzen erwerben, die sie in die Lage versetzen, durch eine vertiefte Fachlichkeit auch ohne Studium anspruchsvolle Fach-, Führungs- und Unternehmerverantwortung zu übernehmen.

Rechtliche Grundvoraussetzung hierfür ist die curriculare und inhaltliche Abstimmung von Aus- und Fortbildungsordnungen nach Berufsbildungsgesetz und Handwerksordnung (auch bei der Modernisierung). Dabei müssen auch hier Sachverständige der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite im Konsensprinzip an der Konzeption der Bildungsgänge der "Höheren Berufsbildung" zusammenarbeiten. Berufliche Qualifikationen der DQR-Stufen 4 bis 7 werden strukturell verzahnt, um z.B. Zusatzqualifikationen, die während einer Ausbildung erworben werden, auf eine Fortbildungsmaßnahme auf der DQR-Stufe 5 anrechnen zu können. Kombinierte Modelle von Aus- und Fortbildung - wie derzeit beim Handelsfachwirt - könnten auf andere Branchen angepasst werden. Damit wollen wir gezielt Anreize setzen, um beruflich Qualifizierten die Aufnahme von Fortbildungen und das Fortführen ihres Karriereweges zu erleichtern.

Um diese Karrieren bundesweit sichtbar und vergleichbar zu machen, regen wir an, drei übergeordnete Karrieretypen, wie z. B. "Spezialist", "Führungskraft" und "Unternehmer" einzuführen. Die Zuordnung von Fortbildungsqualifikationen zu diesen Karrieretypen sorgt für Transparenz.

Aus diesem Grund sollen auch einheitliche Niveau- und Abschlussbezeichnungen für Qualifi-kationen der beruflichen Fortbildung auf den DQR-Stufen 5, 6 und 7 eingeführt werden. Hierfür bieten sich englischsprachige Bezeichnungen an, beispielsweise: Federal Diploma of Higher Education (Berufsdiplom) für die DQR-Stufen 5 und 6 sowie Advanced Federal Diploma of Higher Education (Höheres Berufsdiplom) für die DQR-Stufen 6 und 7. In Konsequenz führt dies auch zu übergeordneten vergleichbaren Titeln für die Qualifikatio-nen der beruflichen Fortbildung auf den DQR-Stufen 5, 6 und 7, die mit

  • Bachelor / Master of Commerce
  • Bachelor / Master of Industry
  • Bachelor / Master of Technics, Engineering oder craft / craft-trade für den gewerblich-technischen Bereich.

bezeichnet werden könnten. Abgesichert werden soll dies durch die Einführung bundesweiter Qualitätsstandards, die auch die Qualifikation des Lehrpersonals umfassen.

Um aufstiegsorientierten beruflichen Absolventen auch materiell gleiche Chancen zu geben, streben wir an, bestehende Stipendiensysteme und das Meister-BAföG auszubauen. Doch auch im Bereich des dualen Studiums soll sich einiges tun: institutionelle, rechtliche und bildungspolitische Grundlagen an diesem Schnittpunkt von Innovationen aus Forschung und Entwicklung einerseits und vor allem KMU andererseits wollen wir entsprechend gestalten. Es bedarf klarer Standards zur Qualitätssicherung und zur Sicherstellung von Arbeitsmarktnähe und Praxisbezug. Die notwendige Anerkennung erzielter Lernleistungen sehen wir bisher v.a. im hybriden Modell des ausbildungsintegrierten dualen Studiums, also der Kombination aus einem Studium an einer Hochschule oder Akademie, erfüllt. Hier gilt es, den Übergang curricular zu gestalten, die Anrechnung zu systematisieren und damit zu entbürokratisieren.

Zeitgleich fordern wir die Schaffung von eigenständigen Organisationseinheiten für die "Höhere Berufsbildung" in den zuständigen Ministerien des Bundes und der Länder, um auch hier eine Verankerung zu erreichen. Es bedarf darüber hinaus eines institutionalisierten Austausches zwischen Vertretern der "Höheren Berufsbildung" und der akademischen Bildung, um Bund und Länder bei der künftigen Ausgestaltung von beruflichen und akademischen (hybriden) Doppelqualifikationen zu beraten. Dies kann etwa durch eine Erweiterung des Arbeitsauftrages des "Arbeitskreises Deutscher Qualifikationsrahmen" geschehen. Daran anschließend fordern wir eine vertiefte Erforschung des Bereiches der "Höheren Berufsbildung" im Rahmen der Bildungsforschung von Bund und Ländern.

Europa in den Blick nehmen

Europaweit werden die beruflich erworbenen Kompetenzen noch immer zu gering bewertet, was eine große Hürde für die Arbeitsmobilität beruflich Qualifizierter darstellt. Abschlüsse der "Höheren Berufsbildung" müssen aus unserer Sicht daher auf EU-Ebene schulischen und hochschulischen Abschlüssen gegenüber als gleichwertig anerkannt werden. Hierfür bedarf es eines neuen bildungspolitischen Prozesses ähnlich dem Bologna-Prozess, der europaweit einheitliche Standards und Titel der "Höheren Berufsbildung" für die Stufen 5 bis 8 des Europäischen Qualifikationsrahmens festlegt. Berufsbildung darf nicht, wie es in der "Europäischen Ausbildungsallianz" passiert, nur als Instrument im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit gewertet werden. Die aktuell beratene "Skills Agenda" der Europäischen Kommission und das EU-Förderprogramm "Erasmus+" bzw. sein Nachfolgeprogramm ab 2020 sollen um die "Höhere Berufsbildung" erweitert werden.

Fazit

Die Verankerung und Stärkung eines konsistenten Aufstiegspfades innerhalb der beruflichen Bildung unter der Dachmarke "Höhere Berufsbildung" bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes. Initiativen zur Gleichwertigkeit höherer Abschlüsse der beruflichen (Weiter-)Qualifizierung mit akademischen Abschlüssen müssen einhergehen mit einer gesellschaftlich besseren Wertschätzung der Berufsausbildung als solider und karriereträchtiger Erstausbildung im Anschluss an eine Regelschulausbildung. Politisch lässt sich vor allem letzteres nicht von oben verordnen - nötig ist das beständige Appellieren an die Vernunft, das Wiederholen guter Argumente und vor allem die Einbindung praxiserfahrener Vertreterinnen und Vertreter, von Auszubildenden über Unternehmer, Techniker, Fach- und Betriebswirte, Meister und Experten aus dem Bereich des dualen Studiums.

Dabei geht es zwar auch um die Bewahrung einer langen deutschen Bildungstradition, die uns sicher durch wirtschaftlich und politisch schwierige Zeiten getragen hat. Vor allem aber geht es darum, aufbauend auf dieser Tradition ein zukunftsfähiges und zukunftsfestes Qualifikationsmodell aufzubauen, das Fertigkeiten und Kompetenzen aus der Praxis, in der Praxis und für die Praxis vermittelt und zugleich gesellschaftlich integrativ wirkt.

Dr. Thomas Feist, MdB