Sozialpolitik

Selbstverwaltung bei uns- wie machen’s die anderen in der EU?

Von den 28 verschiedenen EU-Gesundheitssystemen kennt nur Deutschland die gewählte Selbstverwaltung mit hoher Gestaltungskompetenz. Das war früher anders, jedoch wurden seit den 90er Jahren im Glauben daran, dass „der Staat“ alles möglichst selbst lenken sollte, in etlichen Ländern , so etwa in Frankreich, die Selbstverwaltung abgeschafft oder völlig entmachtet.

In anderen Systemkonstruktionen, etwa den Volksgesundheitsmodellen in Steuerfinanzierung und staatlich gelenkter Leistungsgewährung, gab es nie ein der deutschen Selbstverwaltung vergleichbares Gremium. Hier bestimmt der Staat alles: er sammelt die Steuern ein, er entscheidet darüber, wieviel davon im jeweiligen Haushaltsjahr für Gesundheit verwendet werden soll. Zudem beschäftigt er direkt oder mittelbar die Leistungserbringer.

In den Staaten Mittel- und Osteuropas hatte man sich nach der dortigen "Wende" sehr wohl ein Institut wie unsere Selbstverwaltung gewünscht. Allein, die schlimme wirtschaftliche Lage und der schnelle Verfall der bestehenden Versorgungsstrukturen ließen dafür keinen Raum. Als Ergebnis existieren dort zwar "Krankenkassen" - im Unterschied zu Schweden, Dänemark, Finnland oder Großbritannien und vielen anderen Volksgesundheitsdiensten, die gar kein Versicherungsprinzip kennen - jedoch sind dies nahezu "entmündigte" unterfinanzierte Verrechnungsstellen in oft beklemmend großer Abhängigkeit zu örtlichen staatlichen Strukturen.

Ohne Haushaltssouveränität hängen sie buchstäblich am Tropf der jeweiligen Regierung. Schattenzahlungen sind verbreitet. Eine finanzielle Eigenständigkeit gibt es nicht. In den Zeiten der Euro- und Schuldenkrise ist dies so wichtig geworden, wie niemals zuvor. Alle steuerfinanzierten EU-Systeme leiden unter klammen Haushalten der Staaten, Überschuldung der Sozialversicherungsträger und dem Zwang, deshalb noch fließende Staatseinnahmen eben nicht für "Versorgung", sondern für das schwarze Loch der Staatsschulden zu verwenden. Außer Frage, dass bedarfsgerechte und zukunftsorientierte Steuerung der Versorgung nicht mehr stattfindet.

Mehr und mehr solche staatsabhängigen Systeme stehen vor dem Kollaps oder sind - wie etwa Griechenland - schon zusammengebrochen. Die Schuldenkrise und die seit Jahren laufende "Eurorettung" haben bislang verbreitet zu immer höheren Staatsschulden geführt. Auch Frankreich - ein soziales "Musterland" in der EU - kennt als Folge hilfloser Politik eine dramatische Staatsverschuldung bei fehlendem Wachstum und schlechtem Arbeitsmarkt. Einschneidende Auswirkungen auf das Sozialsystem sind wohl selbst dort nicht mehr fern.

Unsere Selbstverwaltung kann kein Geld herbeizaubern - dazu brauchen wir eine florierende Volkswirtschaft und einen lebendigen Arbeitsmarkt mit Investitionen - jedoch stellt sie sicher, dass etwa die Mittel der TK bestmöglich im Interesse der Versicherten heute und morgen ihrem eigentlichen Zweck zugeführt werden. Überschuldete Krankenkassen und unbezahlte Rechnungen samt Schattenwirtschaft in der Regelversorgung kennt unser System schon aufsichtsrechtlich nicht. Viele Miteuropäerinnen und Miteuropäer beneiden uns deshalb darum. Ihr Patientenalltag sieht oft ganz anders aus. Struktur und Leistungskraft unseres Systems wäre ohne Selbstverwaltung und die durch sie garantierte Staatsferne so nicht vorstellbar. Tun wir also etwas, damit dies so bleibt und beteiligen wir uns an der Sozialwahl. Ein Rundblick in Europa zeigt: es lohnt sich nicht nur, es ist in Kenntnis der Alternativen für uns und kommende Generationen zwingend.

Dr. Günter Danner, Stv. Direktor der Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung in Brüssel und Persönlicher Referent des Vorstands der Techniker Krankenkasse in Hamburg