Die Digitalisierung der Arbeitswelt stellt Auszubildende und Fachkräfte vor neue Herausforderungen. Übergeordnete Softwaresysteme gestatten Menschen, Maschinen und Produkten, direkt miteinander zu kommunizieren und ermöglichen eine weitestgehend selbstorganisierte Produktion individueller Produkte. Hierzu wurde an der Werner-von-Siemens-Schule (WvS²) in Kooperation mit unserer kaufmännischen Partnerschule, der Friedrich-List-Schule (FLS) die Lernfabrik 4.0 errichtet. Die Anlage, an dem Schüler*innen praxisnah Inhalte und Kompetenzen für die Arbeitswelt von morgen vermittelt bekommen, wurde am 20. Juli 2021 eingeweiht.

Durch den Zusammenschluss der beiden Schulen wird die realitätsnahe Abbildung eines verketteten Anlagensystems gewährleistet und eine Verbindung von kaufmännischer sowie gewerblich-technischer Ausbildung an den Schnittstellen Produktion, IT sowie Geschäfts- und Unternehmensorganisation hergestellt.

Anhand von Grundlagenmodulen lernen die Schüler zunächst schrittweise einen Produktionsprozess kennen. Durch den Zusammenschluss der Module zu einer verketteten und digital vernetzten Anlage kann eine komplexe Produktionskette abgebildet werden. Über ihren Einsatz in der beruflichen Aus- und Weiterbildung hinaus dient die Lernfabrik 4.0 als Demonstrationszentrum für Industrie-4.0-Lösungen innerhalb der Region.

Automatisierungstechnik

Die Teilsysteme der Lernfabrik werden in den Automatisierungslaboren exemplarisch vertieft. Die vermittelten Themen sind unter anderem:

- Entwicklung und Einsatz von wiederverwendbaren Softwarebausteinen

- Modularisierung von Steuerungsprogrammen (Plug & Produce)

- Technologien (z.B. RFID, IO-Link)

- Kommunikation (z.B. OPC-UA, MQTT, Security)

- Netzwerktechnik und Datenbanken

Beim Lernen und Arbeiten mit den Applikationsmodulen, bestehend aus einer Transporteinheit und einer automatischen Bohrapplikation, erfolgt der Kompetenzerwerb der Schüler*innen an kleineren und überschaubaren Systemen, an denen die Zusammenhänge schneller und leichter zu erfassen sind.

Darüber hinaus entwickeln die Lehrkräfte an der WvS² didaktische Lehrsysteme für Schülerarbeitsplätze. Dazu werden I4.0-Komponenten auf Plattensysteme montiert und didaktisch, laborgerecht aufbereitet. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine schnelle, flexible und herstellerübergreifende Anpassung des Unterrichts an den Technologiewandel.

IT und Netzwerktechnik

Neben der Automatisierungstechnik sind für I4.0 in der Zukunft umfangreiche Kompetenzen im Bereich der IT, wie zum Beispiel Netzwerktechnik und IIoT erforderlich. Diese Kompetenzen werden im neu gestalteten Netzwerklabor der WvS2 mittels eigens entwickelter Laborsysteme praxisnah vermittelt.

Die Schüler*innen erlernen aktuelle Technologien im Rahmen von Versuchsaufbauten, die den kompletten Weg der Daten vom Sensor in die Cloud nachvollziehen.

Montagetechnik

Das Montagelabor an der WvS² wird genutzt, um die Anforderungen des Lehrplans im Ausbildungsberuf des Fertigungsmechanikers umzusetzen. Hier montieren die Schüler*innen Bauteile und Baugruppen, überwachen und optimieren Produktionsabläufe anhand statistischer Daten. In den praktischen Übungen wird bei der Materialbereitstellung und den Montagearbeitsplätzen „Pick-by-Light“ Technologie eingesetzt.

Zur Umsetzung des Konzepts der Losgröße 1 werden mittels 3D-CAD-Software individualisierte Bauteile im Ausbildungsberuf des Mechatronikers sowie in der Fachschule konstruiert. Anschließend werden diese auf schuleigenen 3D-Druckern gefertigt und dem Montageprozess zugeführt.

Neben den Standardprodukten werden auch selbst entwickelte Sensor-Boxen mit angepassten Gehäusen in der Lernfabrik produziert. Die Platinen sind mit bis zu fünf verschiedenen Sensoren bestückbar, die aus >10 verschiedenen Typen ausgewählt werden können. Jede Sensorplatine enthält immer einen WLAN-fähigen Mikrocontroller und ein OLED-Display. Der „Kunde“ kann so in einem Webshop verschiedene Ausbaustufen und Gehäusefarben auswählen. Die Fertigstellung der vorbestückten Platinen erfolgt in einer Handmontagelinie. Den Transport zwischen der Montagelinie und der Lernfabrik übernimmt ein führerloses Transportsystem der Firma SEW EURODRIVE (Bruchsal). Dieses Transportsystem im Wert von ca. 200.000,-Euro wurde der WvS² von der o.g. Firma im Rahmen der Organisation New-Automation – eine Industrieinitiative für bessere Bildung – gespendet. Ebenso wird der Einsatz kollaborativer Roboter in der Montagetechnik unterrichtet. In diesem Umfeld werden die Produktionsplanung, Lagerwirtschaft, Auftragsabarbeitung und Kommissionierung sichtbar und begreifbar.

Geschäftsprozesse

Aufgabenstellungen im Bereich I4.0 erfordern die Vernetzung von kaufmännischer Planung, Auswertung des Produktionsprozesses und der praktischen Umsetzung. Dies wird durch die Kooperation zwischen der WvS² und der Partnerschule FLS erreicht.

Durch den Einsatz von SAP ERP erleben die Schüler*innen an der FLS die praktische Umsetzung von Abläufen innerhalb eines Unternehmens. Die Vernetzung der beiden Schulen ermöglicht Echtzeit-Zugriffe auf Daten der Produktion, deren Analyse sowie Eingriffe in die Produktion.

Technologietransfer

Die oben beschriebenen Kompetenzen und Prozesse werden in den industriellen Elektro- und IT-Berufen sowie der Fachschule für Elektrotechnik/ Automatisierungstechnik-Mechatronik vermittelt.

In der Fachschule entstand über die letzten Jahre ein Netzwerk mit Unternehmen, in denen Fachschüler Technikerarbeiten durchführen. Diese erfolgen zunehmend auch im Umfeld I4.0.

Im Rahmen von Technikerarbeiten entstanden Konzepte zur Nutzung des kollaborativen Roboters für Unterrichtseinheiten sowie die Anbindung des führerlosen Transportsystems an das MES 4.0 und die Handmontagelinie. Aktuell erfolgt die Einbindung von IIoT-Gateways zur Erfassung und Aufbereitung von Prozessdaten mittels MQTT/OPC-UA. Durch die Datenspeicherung in Time-Series-Databases können Datenanalysen für Geschäftsprozesse und Visualisierungen erstellt werden.

Im Bereich der Automatisierungstechnik ist die WvS² das Kompetenzzentrum in Mannheim und über viele Jahre kompetenter Partner in der Fortbildung von Mitarbeitern ansässiger Unternehmen. Dabei wurden und werden passgenaue Fortbildungsangebote durch die Lehrkräfte entwickelt und an der WvS² durchgeführt.