Politik & Gesellschaft

Fundament für Techniker und Technikerinnen stärken und sichern

Technisch motivierte junge Menschen, die die Schule verlassen, haben heute beste Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Das ist eigentlich eine sehr gute Nachricht für den Nachwuchs der betrieblichen Berufsqualifizierung. Und auch eine gute Basis für die zukünftige Fortbildung zu hochqualifizierten Technikern/Technikerinnen und Meistern/Meisterinnen. Aber die Bewerber werden weniger. Die Studierneigung in Deutschland hat in den letzten Jahren derart zugenommen, dass einige Wissenschaftler schon von einem ‚Akademisierungswahn‘ sprechen. Ich möchte diesen Begriff nicht überstrapazieren, aber die Herausforderungen auch nicht kleinreden.

Faktum ist:

Die berufliche Aus- und Weiterbildung droht ihren traditionell hohen Stellenwert für Bildung, Erwerbstätigkeit und selbstbestimmte und eigenfinanzierte Lebensführung zu verlieren. Das betrifft nicht nur den Einzelnen, sondern vor allem die Wirtschaft, Betriebe und Belegschaften. Den Fachleuten und den mittleren Führungskräften, mit denen Deutschland das Wirtschaftswunder schaffte, mit denen wir Konjunkturschwankungen und Wirtschaftskrisen wesentlich besser meistern und überwinden als andere Staaten, geht der Nachwuchs aus. Die Qualifizierung "Bachelor" könnte Facharbeiter, Kaufleute, Gesellen, Meister und Techniker künftig verdrängen.

Die Zahl der Studienanfänger steigt, während immer weniger junge Menschen eine betriebliche Ausbildung wählen. In den Büroberufen gibt es noch Ausbildungsplatzbewerber genug. In technischen Branchen und in Dienstleistungsberufen klagen immer mehr Betriebe, dass sie ihre Lehrstellen nicht mehr alle besetzen können.
Der Vergleich in Zahlen:

  • Studienanfänger 2013 (nach Bildungsbericht die aktuellsten Zahlen) 507.000
  • Ausbildungsanfänger 2014 im dualen System (Zahlen nach BiBB) 522.000.

Im Jahr 2007 wurden noch über 625.000 neue Lehrverträge abgeschlossen. Das waren rund 66 % der Schulabgänger. Nicht zuletzt angespornt durch frühere Studien der OECD, hat die Bildungspolitik in den letzten Jahren vor allem den Bedarf an akademischen Fachkräften in den Blick genommen. Auch in den Köpfen der Menschen, vor allem der Eltern und Betriebsinhaber, hat die Botschaft Spuren hinterlassen. Alle streben für ihren Nachwuchs, für ihre Bewerber, die höchsten Qualifikationen und vermeintlich besten Abschlüsse an. Neue Studien sagen für die Zukunft einen gravierenden Mangel im Bereich der nicht-akademischen Fachkräfte voraus.

Für Wirtschaft und Politik wird es immer schwieriger, eine 'funktionale Balance' zwischen beruflicher und akademischer Ausbildung zu finden.

Was ist zu tun?

Der wichtigste Vorteil einer Lehre gegenüber Abitur und Studium ging in den letzten Jahren verloren: Beweggrund für eine Berufsausbildung ist klassisch der frühe Eintritt in den Beruf und die finanzielle Unabhängigkeit. Heute richtet sich der Fokus der Ausbildungsbetriebe aber zunehmend auf volljährige Bewerber, die das Schulsystem idealerweise bereits bis zur Volljährigkeit und Hochschulreife durchlaufen haben. Im Schnitt sind Ausbildungsanfänger heute über 20 Jahre alt.

Die Wirtschaft schätzt die Vorzüge einer betrieblichen Berufsausbildung gegenüber rein schulischer und akademischer Qualifizierung durchaus. Auch in der Allianz für Aus- und Weiterbildung unter Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sind sich alle einig: Das duale System muss wieder eine echte Alternative zum Studium werden. Betriebe sollten früh den Kontakt zu jungen Menschen suchen und sich vorstellen. Das sollte nicht erst geschehen, wenn sich die Schüler bereits für das Studium qualifiziert haben. Um die Balance zwischen akademischer und dualer Berufsqualifizierung wieder zu verbessern, dürfen wir auch Real- und vor allem Hauptschüler nicht aus dem Blick verlieren. Denn es ist offensichtlich: Die berufliche Qualifizierung bildet das Fundament für die Fortbildung zum Staatlich geprüften Techniker.

Alle müssen gemeinsam daran arbeiten, die berufliche Bildung vor allem bei Jugendlichen und Familien wieder attraktiver und beliebter zu machen. Dabei sind Sozialpartner, Verbände und Wirtschaft in der Pflicht, aussichtsreiche Verdienst- und Karrieremöglichkeiten zu schaffen und öffentlich hervorzuheben.

Das macht der Bund:

Insbesondere der letzte Punkt liegt in der Verantwortung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Wir sichern durchgängig die Qualität beruflicher Bildung in Deutschland durch „

  • ständige Modernisierung bestehender Ausbildungsordnungen „
  • bedarfsgerechtes Entwickeln neuer Berufe und ggf.Aufheben überkommener Berufe.

Außerdem passen wir laufend Ausbildungs- und Prüfungsanforderungen an technologische Entwicklungen und an neue Prozesse an. Bundeseinheitliche Kompetenzprofile und einheitliche Prüfungsanforderungen sichern die überregionale Anerkennung und Wertschätzung unserer Kaufleute, Gesellen und Facharbeiter - letztlich auch der Techniker und Meister, die im Regelfall zunächst eine solche Ausbildung durchlaufen haben.

Die neuen Ausbildungsordnungen, als Basis für Beschäftigung und Weiterqualifizierung auch zum Techniker, entstehen in klar strukturierten Neuordnungsverfahren: „

  • Es liegt immer ein Antrag der Sozialpartner zu Grunde „
  • die Länder als duale Partner werden von Anfang an an Neuordnungsverfahren beteiligt „
  • Arbeitgeber, Gewerkschaften und Kammerorganisationen bestimmen die Eckwerte „
  • die Ausgestaltung der verordneten Mindestanforderungen und Prüfungen erfolgt immer durch Praktiker (Sachverständige).

Maßgeblich ist dabei insbesondere der nachhaltige Bedarf der Betriebe an Fachkräften. Im Übrigen ist in allen dualen Berufen die Vermittlung von Sozialkompetenzen selbstverständlich. Sie bestimmen neben den berufsfachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten maßgeblich die Qualität einer dualen Lehre. Auch ist systemkonform, erlaubt und gewollt, wenn Unternehmen bestimmten Auszubildenden mehr anbieten als staatlich vorgegeben. Je nach Beruf z. B. „

  • Fremdsprachenkenntnisse „
  • Programmierkurse „
  • Schweißzertifikate „
  • Rhetorik und Verhandlungsführungskurse „
  • Fahrerlaubnisse.


Im Einzelnen bestimmen das die betrieblichen Erfordernisse sowie die individuellen Fähigkeiten und Interessen der Auszubildenden. Solche Initiativen finden wir gut und ermutigen Sie ausdrücklich.

Qualitätskontrolle durch unabhängige Abschlussprüfungen

In der beruflichen Bildung gilt der Qualitätsgrundsatz: Wer ausbildet prüft nicht. Weder Betrieb noch Berufsschule führen Abschlussprüfungen durch. Nur unabhängige Ausschüsse der Kammern bewerten am Ende die Leistung. Dieses Verfahren gibt Betrieben und Beschäftigten Sicherheit und garantiert berufliche Mobilität.

Effizienz und Güte der beruflichen Bildung in Deutschland sind auch international anerkannt. Unter anderem sind die beruflich qualifizierten Techniker und Meister im nationalen Qualifikationsrahmen (DQR) und dem europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) dem akademischen Bachelor gleichgestellt.

Beispiel: Luftfahrttechnische Berufe

In der Vergangenheit konnten wir auch immer neue Betriebe und Branchen für die Berufsausbildung gewinnen. Zum Beispiel ist das duale System inzwischen in der Luftfahrtindustrie fest verankert. Das war nicht einfach: Europäisches Recht der Luftfahrtbehörde EASA überlagert unsere nationalen Ausbildungsordnungen. Die dual Ausgebildeten durften bisher nicht ohne weitere Lizenzen nach EASA an Flugzeugen arbeiten. Mit den neuen Ausbildungsordnungen für Fluggerätelektroniker und Fluggerätmechaniker des Bundeswirtschaftsministeriums ist seit 2013 sichergestellt, dass die Facharbeiter keine zusätzlichen Schulungen mehr absolvieren müssen, um die erforderliche EU-Zertifizierung nach einer gewissen beruflichen Praxiszeit zu erhalten.

Alle Absolventen der luftfahrttechnischen Berufe sind damit nicht nur beschäftigungsfähig in der Fertigung, der Instandhaltung oder der Triebwerkstechnik. Sie haben auch eine solide Grundlage für die Fortbildung. Sei es zum Techniker oder zum Meister oder zur Weiterqualifizierung nach europäischem Luftfahrtrecht [EU-Verordnung 1149/2011 Anhang III (Teil 66)].

Allianz für Aus- und Weiterbildung:

Unter Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie haben Bund, Wirtschaft, Gewerkschaften und Länder Ende 2014 die Allianz für Aus- und Weiterbildung 2015 - 2018 begründet. Die "Allianz" setzt die im Koalitionsvertrag genannte Ausbildungsgarantie um: Jeder ausbildungsinteressierte Mensch soll künftig einen Pfad aufgezeigt bekommen, der ihn frühestmöglich zu einem Berufsabschluss führen kann. Vorrang hat dabei die betriebliche Ausbildung.

Die "Allianz"-Partner leisten dafür eigene Beiträge. Die Wirtschaft will z.B. 20.000 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze in 2015 zur Verfügung stellen. Der Bund hat das Förderinstrument der assistierten Ausbildung für bis zu 10.000 Plätze p.a. auf den Weg gebracht. Mit der Assistierten Ausbildung können ab Herbst 2015 leistungsschwächere Jugendliche und deren Ausbildungsbetriebe vor und während der betrieblichen Ausbildung durch einen Bildungsträger unterstützt werden.

Um das duale System zu stärken, gibt es meines Erachtens vier Kernpunkte:

  1. Der Unterricht an Haupt- und Realschulen muss strukturell und inhaltlich stärker auf einen nahtlosen Übergang in betriebliche Ausbildung ausgerichtet werden. Bereits in der achten Klasse muss die Berufsorientierung einsetzen.
  2. Die Berufsberatung muss sehr viel verbindlicher Berufsperspektiven in Ausbildungsberufen aufzeigen, auch über Agenturbezirksgrenzen hinweg.
  3. Der Fokus der Betriebe muss sich stärker und früher auf junge Bewerber ohne Abitur und Fachoberschulreife richten.
  4. Die duale Berufsausbildung muss strukturell aufnahmefähig und durchlässig sein und ihre Integrationskraft unter Beweis stellen.

Epilog:

Fachkräftesicherung, Aus- und Weiterbildung sind Themen die nicht nur die Politik beschäftigen dürfen. Sie sind eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Gemeinsame Anstrengungen - insbesondere die eingangs beschriebenen vier Kernpunkte - werden notwendig sein, um Deutschland zukunftsfest zu machen. Deshalb begrüße ich auch das Engagement des Bundesverbandes höherer Berufe der Technik, Wirtschaft und Gestaltung e. V. (BVT), der sich mit den Themen Fachkräftemangel und Nachwuchsgewinnung und der Bedeutung dualer Ausbildung als Fundament für die Weiterbildung für Staatlich geprüfte Technikerinnen und Techniker auseinandersetzt.

Brigitte Zypries, Parlamentarische Staatsekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie